Die Mutter schuftet als Putzfrau, der Vater schraubt in der KFZ-Werkstatt, das Kind studiert. Schon früh wollte Jannis Merten auf die Uni. Bereits während der ersten Schuljahre strebte er nach Bildung. Bald gehörte der Schüler zu den Klassenbesten in seinem Jahrgang. Aufgrund der finanziellen Situation im Elternhaus war es für die Eltern und den Heranwachsenden nicht einfach, am Traum vom Studium festzuhalten. “Ich wusste nicht einmal, wie ich meine Zeit an der Uni finanzieren soll”, erzählt Jannis Merten. “Dass es Fördermöglichkeiten, Wohngeld und Bafög gibt, war uns nicht bekannt”, ergänzen die Eltern.
Chancen und Scheitern
Für den Abiturienten war es nach dem letzten Schuljahr sowie dem bestandenen Abitur nicht leicht, sich auf die Zukunft und das Studium vorzubereiten. Der Umgang mit den Bewerbungsunterlagen und die Einhaltung der Einsendefristen erschien nicht nur Jannis Merten, sondern auch seinen unterstützenden Eltern als Herausforderung. Doch nun studiert der 25-jährige bereits an einer Universität im Ruhrgebiet. Damit wählt er einen ganz anderen beruflichen Weg als seine Mutter und sein Vater: Jannis Merten ist eines von vielen Arbeiterkindern, die sich derzeit für ein Studium entscheiden.
Als Kind einer Putzfrau und eines KFZ-Mechanikers gehört der Abiturient zu einer Gruppe von Studierenden, die viele Bezeichnungen besitzt. So ist von Studenten aus Nichtakademiker-Familien die Rede, wenn die Eltern eine proletarische Biographie aufweisen. Aktuellen Zahlen des Hochschulbildungsreportes besagen, dass nur 21 Prozent aller Kinder aus nicht akademischen Haushalten studieren.
Zum Vergleich: Unter der Gruppe der Akademikerkinder sind es stolze 74 Prozent, die sich für eine universitäre Laufbahn entscheiden. Nur 15 Prozent dieser Studierenden bricht die Uni ab, während sich ein Drittel der Arbeiterkinder für solch ein Ende entscheidet. Viele Betroffene erklären sich solch Scheitern durch individuelles Pech, erläutern Referenten des “Referats für finanzell und kulturelle benachteiligte Studierende” (Fikus) aus Münster. Daher sei es wichtig, “ein Bewusstsein darüber zu schaffen, dass Arbeiterkinder in unserer Gesellschaft systematisch schlecht wegkommen”.
Statistiken und Einordnungen
Die Forschung erklärt sich diese Zusammenhänge – und spricht häufig von mangelnder Bildungsmobilität. Schließlich schlagen Heranwachsende oft den gleichen Bildungsweg wie die Eltern ein. Es liegt, so meinen viele Forscher, vor allem am Gesetzgeber, diesen Umstand stärker zu berücksichtigen. Der Staat müsse die nötigen Rahmenbedingungen und entsprechende Fördermöglichkeiten schaffen, um betroffenen Studierenden ihre universitäre Laufbahn zu erleichtern.
Gerade in Deutschland bleibt weiterhin viel zu tun. Das belegt die aktuelle OECD-Studie. In Fragen der Chancengleichheit hinkt die Bundesrepublik auf dem 19. Platz weit hinter anderen Ländern aus Europa, Asien und Amerika hinterher. Nur in Chile, Italien und den Nationen aus Osteuropa stehen die Aufstiegschancen noch schlechter.
Auch in diesem Land werde die Bildung “überdurchschnittlich stark vererbt”, erklärt Ulrich Hinz, der bei der “Stiftung der Deutschen Wirtschaft” (sdw) für den Bereich Schülerförderung zuständig ist. Mit der “Deutsche-Bank-” und der “Accenture-Stiftung” gründete seine Institution das Programm “Studienkompass”, das junge Erwachsene aus nichtakademischen Familien schon vor dem Abitur fördert. So möchte diese Initiative betroffene Heranwachsende, die sich ohne Beratung häufig für eine berufliche Ausbildung entscheiden, ein Studium ans Herz legen.
Zwischen den Welten
Die Zeit des Studiums gestaltet sich für Arbeiterkinder oft nicht einfach: “Man lebt in zwei Welten”, erklärt der Soziologe Andreas Kemper im Gespräch mit der Wochenzeitung “Jungle World”. Er ist, wie Jannis Merten, ein Arbeiterkind, das sich für ein Studium entschied. Den Spagat zwischen der eigenen Biographie und dem Klima an den Universitäten halten aber nicht alle Studierenden aus nichtakademischen Elternhäusern aus.
In der Gruppe der Arbeiterkinder gibt es eine besonders hohe Zahl an Studienabbrüchen, was sich unter anderem auf den ungewohnten Leistungsdruck und die oft sehr hohen Studienkosten zurückführen lässt. Der Start ins Studium ist sehr teuer, was gerade finanzschwache Arbeiterkinder vor besondere Herausforderungen stellt. Studiengebühren kommen manchmal hinzu. Die Finanzierung ist nicht einfach: “Arbeiterkinder haben es zum Beispiel wesentlich schwerer, einen Hiwi-Job zu bekommen”, erklärt Andreas Kemper.
Die Möglichkeiten einer Bafög- oder einer Wohngeld-Förderung ist den Betroffenen nicht immer klar. Umso wichtiger erscheint die umfangreiche Beratung. Angehende Studierende können sich an unterschiedliche Initiativen wenden. Oft bieten die Allgemeinen Studierendenausschüsse oder die Fachschaften entsprechende Informationen. Außerdem helfen private Initiativen und Vereine. So berät das Projekt “Arbeiterkind” bereits seit 2008 viele Heranwachsende.
Gegründet wurde die ehrenamtliche Organisation, der mittlerweile etwa 6.000 Mitglieder angehören, durch die damalige Studentin Katja Urbatsch, die ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie stammt. Mittlerweile kümmert sie sich mit den anderen Ehrenamtlichen, die meist selbst aus einem Arbeiterhaushalt stammen, um die Beratung der hilfesuchenden Studierenden. Es geht der Initiative “Arbeiterkind” aber um mehr als eine einfache Beratung. An über 80 Standorten gibt es mittlerweile offene Treffen für betroffene Studierende, die sich im Rahmen eines Austausches kennenlernen können.
Hilfreiche Infos: zum Angebot von “Arbeiterkind” gehört außerdem eine umfassende Internetseite, die Interessierte über Themen wie das Bafög oder die Stipendien informiert.
Mehr Hilfe erwünscht
Jannis Merten möchte sein Studium auf jeden Fall beenden. Dafür wünscht sich das Arbeiterkind vor allem mehr Unterstützung von seiner Universität. Bei vielen Fragen informiert sich der angehende Student derzeit im Internet. Manchmal tauscht sich Merten mit Kommilitonen aus oder befragt einen Dozenten.
Allerdings gibt es nicht immer Hilfe. Der Studierende wünscht sich daher entsprechende Beratungsangebote und Förderprogramme. Merten bittet um solche Unterstützung für Arbeiterkinder, damit die Frage der sozialen Herkunft nicht zum Handicap wird. Es bleibt zu hoffen, dass sich zumindest dieser Wunsch des Studierenden rasch erfüllt.
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